Allgemein

Epilepsie wurde früher auch als „morbus sacer“, „heilige Krankheit“, bezeichnet, heute nimmt man ein „elektrisches Feuerwerk“ im Gehirn an. Vor einem Anfall kann es zu einer sogenannten Aura ( von gr. αὔρα [aura]: [Luft-]Hauch; Aura ist in der griechischen Mythologie die streng jungfräuliche Göttin der Morgenbrise) kommen, also zu ganz spezifischen Empfindungen unterschiedlichster Art: Von einem bloß „komischen Gefühl“ bis hin zu Halluzinationen (organische Halluzinose mit z. B. visuellen oder auditiven Auren), extremen Glücksgefühlen oder Todesangst, Depersonalisationen, Derealisationen, also Fremdheitsgefühlen bzgl. der eigenen Person oder der Realität, und deja-vu-Erlebnissen (psychische Auren).

Vor einem Migräne-Anfall kann es auch zu Auren kommen.

Auren mit schweren Symptomen wie Halluzinationen etc. v. a. vor Epilepsie- und Migräne-Anfällen nennt man auch Alice-im-Wunderland-Syndrom oder Todd´s Syndrom, das aber auch v. a. bei Kindern durch das Epstein-Barr-Virus aus der Familie der Herpesviren verursacht werden kann, durch das auch das Pfeiffer-Drüsenfieber und andere Erkrankungen ausgelöst werden können.

Aura mit religiösem Inhalt in der Epilepsie

Auren können auch religiöse Inhalte haben: Mystische oder ekstatische Auren, die oft bei Schläfenlappenepilepsie (Temporallappenepilepsie; von lat. tempus: Schläfe) vorkommen oder bei Hinterhauptslappenepilepsie (Okzipitallappenepilepsie; von lat. occipitium/occiputium [caput: Kopf]: Hinterkopf), wenn visuelle Halluzinationen (z. B. Visionen) im Vordergrund stehen. Wissenschaftler nehmen an, dass z. B. Chopin und Dostojewski an diesen Arten von Epilepsie gelitten (und/oder sich erfreut) haben könnten wegen ihrer mystischen Auren.

Auch bei Paulus wird eine Epilepsie diskutiert; schon im alten Irland wurde Epilepsie „Saint Paul´s disease“, also „die Krankheit des heiligen Paulus“ genannt.
Auch eine Migräne mit Todd´s Syndrom wird diskutiert.

Wissenschaftler, die sich der Religion mit naturwissenschaftlichen oder medizinischen Methoden annähern wie im eben geschilderten Paulus-Fall, werden oft von fanatischen Gläubigen wild beschimpft. Auch der Arzt Prof. Kluxen hat diese Erfahrung gemacht:
„Die andere Methode ist in anderen Zuschriften enthalten, in denen man mich verunglimpft oder in welchen Bekehrungsversuche enthalten sind. In ihren Briefen und Karten drücken die Schreiber dabei ihre Überzeugung aus, dass die Möglichkeit einer naturwissenschaftlichen Deutung die Möglichkeit ausschließt, dass diese Welt eine metaphysische, jenseits ihrer fassbaren Grenzen gelegene Ursache haben könnte. Sie meinen, dass man die Wahl zwischen zwei Alternativen zu treffen habe, die einander unerbittlich ausschließen (Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 12, 25 März 1994).“
Und das sei falsch, so Kluxen. Falsch ist das auch meiner Auffassung nach.

Fall:

Lena (19) ist in einer streng gläubigen katholischen Familie aufgewachsen. Seit ihrem 16.Lj. leidet sie an generalisierten epileptischen Anfällen. Anfangs hatte sie während und nach dem Anfall kurz andauernde optische Halluzinationen -verschwommene Gesichter, die sie nicht identifizieren konnte. Später entwickelten sich auch Halluzinationen zwischen den Anfällen, die sie als göttliche Visionen deutete. Ihrer Mutter hat sie erzählt, die Jungfrau Maria sei ihr erschienen und habe ihr gesagt, Gott habe sie auserwählt, den Menschen die wahre Botschaft des Evangeliums zu verkünden. Jeden Morgen beim Aufwachen stehe Maria in ihrem Zimmer und lächle sie an, manchmal sehe sie sich auch von Engeln und Heiligen umgeben, die sie in ihrem Auftrag bestärken. Eine medikamentöse Behandlung lehnen Eltern und Tochter ab.
Vor etwa 8 Wochen hat sie sich in einen Klassenkameraden verliebt und sich auf eine Beziehung mit ihm eingelassen. Etwa 2 Wochen später haben sich die Halluzinationen verändert: Jetzt sehe sie beim Aufwachen hässliche, fratzenhafte Gesichter, die sie als „verdorben“, „schmutzig“, und „sündig“ beschimpfen. „Das muss der Teufel sein, der von mir Besitz ergriffen hat“, gesteht sie ihrem Freund. Der überredet sie, sich gegen den Willen der Eltern in psychiatrische Behandlung zu begeben.

(Fallgeschichte aus: Rudolf Schneider, Psychiatrie leicht verstehen.)