Transkulturelle Forschungen

Ein vernachlässigter und kaum beachteter Wissenschaftszweig ist die transkulturelle Psychiatrie und Ethnopsychiatrie.
Wissenschaftler haben in Vietnam und Schwarzafrika epidemiologische Forschungen betrieben und keinen Fall von Schizophrenie vorgefunden.
(E. Wulff: Grundfragen der transkulturellen Psychiatrie. In: Psychiatrie und Klassengesellschaft. 1972)
(Nikolaus Petrilowitsch (Hrsg.): Beiträge zur vergleichenden Psychiatrie. 1967)

Die schulmedizinische Psychiatrie allerdings, gestützt auf statistische Auswertungen der WHO, geht von einer weltweit gleichmäßigen epidemiologischen Verteilung von Schizophrenie-Erkrankungen aus. Sie übersieht meiner Meinung nach dabei die schlechte Datenlage in vielen Ländern und rechnet zudem aktuelle Auswertungen zurück auf die Vergangenheit. Nur dann kann es zu der in meinen Augen unfassbaren Erklärungshypothese kommen, dass die Schizophrenie-Erkrankung irgendeinen evolutionären Vorteil in der Menschheitsgeschichte haben muss. Nur wer den Horror dieser Krankheit nicht am eigenen Leib erlebt und durchlitten hat, kann sich zu solch einer Hypothese versteifen.

Zurück zu den obigen Ergebnissen der transkulturellen Psychiatrie.
Es gibt verschiedene Erklärungsmodelle für dieses Phänomen.
Das Umfassendste und Überzeugendste ist meiner Meinung nach das Konzept der
participation mystique (franz.: mystische Verbundenheit):

Die Einheit von Leben und Kosmos indigener Völker im Gegensatz zur exzessiven, rationalistischen Subjekt-Objekt-Spaltung in der „zivilisierten“ westlichen Welt.
Diese Einheit, diese Verbundenheit mit der gesamten Welt und Umwelt impliziert natürliche Irrationalitäten wie z. B. die Vielschichtigkeit von Wirklichkeit und die Beseelung aller Dinge, die in der westlichen Welt keinen Platz mehr haben und exzessiv verdrängt werden. Dieses exzessive Ausmerzen natürlicher Konstanten führt dann bei manchen Menschen zum exzessiven Gegenteil: Die eigentlich natürlichen Irrationalitäten mutieren zu Horror-Gebilden, zu Krebsgeschwüren der Psyche, mit den typisch schizophrenen Symptomen wie z. B. Horrortrips in unbekannte Welten-Dimensionen oder das Ausgeliefertsein an scheinbar fremde, grausame Mächte.

Meiner Auffassung nach liegt ein großes Therapie-Potential in diesen Erkenntnissen.
Es gibt eine gesunde Mitte zwischen dem westlich-rationalistischen Konstrukt psychotisch-krank und schulmedizinisch psychisch-gesund.

Da allerdings in diesem Erklärungsmodell keine mathematische Zahl und kein chemischer Stoff vorkommen, ist dieses Modell für die Schulmedizin irrelevant und wenig verständlich. Wenn allerdings das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann ist die Kultur der schulmedizinischen Psychiatrie ein Korrektiv, das man nicht überschätzen kann; beides bedingt sich.

Einer Ethno-Romantik sollte man aber nicht unterliegen; indigene Völker haben ihre eigenen Krankheiten und ihre eigenen Probleme, aber das Problem der Schizophrenie nach diesen Forschungen nicht.